Lernerfahrungen der dritten Art

Idee und Inspiration

Wir saßen im Auto Richtung Emmental. Draußen war es kalt und neblig und schon dämmrig. Wir unterhielten uns über die Dinge, die in der nächsten Woche anstehen würden. Ach, da war doch die Einladung vom Auditorium-Netzwerk für zwei ganze Wochen kostenlosem Online-Kongress zum Thema Hypnose und Hypnotherapie. Da wir beide schon einige Weiterbildungen dazu besucht hatten, machte uns das munter und freudig gespannt.

Und aus dem Nichts kam die Idee: Was wäre, wir würden in diesem Rahmen mit interessierten Menschen ausprobieren, wie sich «Lernen 3»* nach Gregory Bateson entfalten kann?

Das Format war sofort klar. Wir wollten ein Warm Data Lab aufsetzen und wegen Corona die Zoom Version davon, genannt People need People (PnP). Dieses Format lehnt sich ebenfalls an die Theorien und das Wirken von Gregory Bateson an.

Was ist ein Warm Data Lab?

Nora Bateson, die jüngste Tochter von Gregory Bateson, hat aufbauend auf dessen Theorien über Information, Lernen und Entwicklung das Format «Warm Data Lab» entwickelt, das in der Onlineversion «People need People» (PnP) heißt. 

Warm Data Lab Format

  • Eröffnung mit einer Geschichte aus der Ich-Perspektive

  • Einteilung in Gruppen von 3 – 5 Personen

  • Austausch in diesem Gruppen (2 bis 3 mal neu durchmischt)

  • Zusammentragen der Erfahrungen in einer Symmathesy

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir die naive Vorstellung, dass an jedem Tag des Online-Kongresses zum Thema Hypnotherapie ein Link mit einer Aufnahme kommen würde, also ungefähr zwei Stunden Vortrag täglich. Wir planten, dass alle Teilnehmenden den Input hören und dann mit gleichem Wissen das Abenteuer mit uns begehen würden.

Zu unserem Erstaunen (und zu unserer Freude) gab es jeden Tag 8 bis 14 Stunden Audio- und Videomaterial. Wir mussten unseren Plan anpassen, denn niemand von uns konnte diesen Reichtum an Information und Inspiration ausschöpfen. Und das war gut so, denn die daraus folgenden Konsequenzen forderten von uns ein neues Vorgehen außerhalb von Wissensaustausch, denn wir hörten Unterschiedliches, Gleiches oder auch mal nichts.

Gedacht, überdacht, getan

Zunächst schrieben wir uns bekannte Menschen an, von denen wir dachten, dass sie am Inhalt und an unserer Fragestellung interessiert sein würden und luden sie zum PnP ein. Die Herausforderung lautete: Klappt es, mit Hilfe dieses Formats sich dem «Lernen 3» zu nähern?

Jeden Tag hörten die Teilnehmenden, so viel wie sie konnten und wollten. Einige Teilnehmende schlossen sich zusätzlich in kleineren Gruppen von vier zusammen, um jeden Abend über das Gehörte nachzudenken, nachzuspüren und in einen Austausch zu kommen.

Alle 3 bis 4 Tage fand ein PnP Zoom Meeting statt. Wir starteten jedes Meeting mit einer persönlichen Geschichte über ein Erlebnis, das für uns im Zusammenhang mit dem Gehörten und einer eigenen Veränderung stand. Durch diese Geschichte setzen wir den Ton und die Atmosphäre, der es in der Folge ermöglichte, dass offen aus dem eigenen Erleben gesprochen werden konnte. Unsere Absicht war, nicht über das Gehörte zu sprechen in der Form (was habe ich gelernt = about), sondern auszutauschen, was von dem Gehörten uns berührt, bewegt (was hat das in mir bewirkt = within) hatte.

Die Teilnehmenden wurden in 4er Gruppen eingeteilt und hatten jeweils 15 bis 20 Minuten Zeit, der Frage «Was hat Dich von dem, was Du gehört hast, berührt?» nachzugehen. Danach wurden sie ein zweites Mal mit anderen Teilnehmenden in 4er Gruppen eingeteilt und gingen nochmals dieser Frage nach. Zum Schluss der PnP Session kamen alle zusammen mit der Frage «Wie war es? Was ist geschehen?» (Symmanthesy = gemeinsames Lernen) Es wurde über Veränderungen in der Wahrnehmung durch den Gruppenprozess, neue Erkenntnisse aus den Gruppen und vieles mehr gesprochen. Die letzte Frage haben wir bei jeder PnP-Sitzung weiterentwickelt in Richtung «Lernen 3»: «Was hat Dich von dem berührt, was andere berührt hat», «Was hast Du über Dich erfahren, indem Du den anderen zugehört hast»?

Reflexion zu unserem PnP

In der aus unserer eigenen Schulerfahrung bekannten Lernumgebung findet Lernen häufig als reine Wissensvermittlung statt. Wissen wird doziert und so exakt wie möglich wiedergegeben.

Wir konzentrierten uns im PnP ausschließlich auf die Wahrnehmung der Emotionen, der Körpersensationen und der Veränderung im eigenen Sein. Dieser geteilte Fokus ermöglichte mehrere Lernmomente:

  • Vertrauen in meine Wahrnehmung und gleichzeitig in die unterschiedliche Wahrnehmung der anderen Person.

  • Reflektionen und Erkenntnisse über die Brille, durch die ich die verschiedenen Beiträge gehört und aufgenommen habe durch die Unterschiedlichkeit zu dem, was andere Menschen von dem Gehörten aufgenommen haben.

  • Die Erkenntnis über meine Art des Wahrnehmens im Unterschied zu anderen Personen.

  • Das Aufspüren meiner Grenzen und Begrenzungen beim Zuhören und damit auch beim Lernen.

  • Die Freiheit, uns anders ausprobieren zu können, da der geteilte Raum in der geteilten Vielfältigkeit Sicherheit gab.

  • Die Erkenntnisse über eigene Licht- und Schattenseiten beim Lernen.

  • Das Erkennen dessen, warum wir so lernen, wie wir lernen.

Durch das Übereinanderlegen der Muster aus den geteilten Erkenntnissen mit den persönlichen Erfahrungen entstand ein Mosaik, was die Möglichkeit der Transformation öffnete.

Bereits in den verschiedenen 4er Gruppen im PnP wurde das Gehörte durch die erfahrbare Berührung und die Zeugenschaft der anderen für die eigenen emotionalen Öffnungen auf eine höhere Bewusstseinsebene gehoben. Das neue Wissen wurde im Gehirn als verschiedene Geschichten eingelagert mit den dazugehörigen Emotionen. Diese Art des Dialogs war ein Beginn, die eigenen Grenzen der Wahrnehmung und damit des Lernens zu verschieben. Es entstanden emotionale Zustände, in denen «Tatsachen» gefühlt, gerochen und entsprechend abgelegt wurden.

In der Symmathesy wurden die persönlichen Erkenntnisse aus den Kleingruppen ausgesprochen und erlebbar gemacht; ausserordentlich berührende Momente. Es entstand «the difference, that makes a difference».

Das «Lernen 3» oder die Antwort auf die Frage: «Was in mir macht, dass ich so lerne, wie ich lerne?». fand durch die PnP tatsächlich statt, denn wir haben gelernt und gefühlt und gespürt und waren berauscht von der Erfahrbarkeit unserer Grenzen und der Möglichkeit der Öffnung derselben. Wir haben die Konstruktion unseres Lernens und die Konstruktion des Lernens der anderen erforscht und konnten somit im Spalt zwischen Reiz und Reaktion die Freiheit des Lernens empfinden.

Weitere Stimmen

«Ich habe das, was mir von gehörten oder gesehenen Lektionen wesentlich erschien, mit anderen, die auch im Thema unterwegs waren, mit Freunden und Fremden geteilt. Ich habe gelernt, mich zu überwinden, diese Begegnung nur per Bildschirm und nicht leibhaftig zu erleben. War überrascht von der Atmosphäre des Vertrauens (sowohl in der ganzen, als auch in den kleinen Gruppen) im Mitteilen meiner Lernerfahrung konnte ich überprüfen, ob ich das von mir „Verstandene“ adressieren kann und im Hören und Sprechen entstand ein neuer Lernraum - ein Raum von Neugier, Staunen, Freude und Verbundenheit…»
«Jetzt verbinde ich Einsichten mit Gesichtern.»
«Das macht Lust auf neue Begegnungen mit vertrauten und fremden Menschen.»
«Es hat sich eine Gesprächskultur entwickelt, die es ermöglicht, im Raum des Nicht-Wissens
mit anderen nach begehbaren Wegen zu suchen. DANKE» M.J.

«Ich kannte das Format PnP bisher nicht. Meine Erfahrung: Die gemeinsame Reflektion von Inhalten ganz bewusst aus je unterschiedlichen Brillen und persönlichen Perspektiven betrachtet, war inspirierend und bereichernd.» B.B.


*Lerntypen nach Bateson:

Lernen 0: Konditionierung, reflexartige Reaktionen aufgrund eine Reizes

Lernen 1: Inhaltliches Lernen (Mathe, Englisch, Rechtschreibung,…)

Lernen 2: Lernen, wie ich lerne

Lernen 3: Verstehen warum ich so lerne, wie ich lerne und Wahlmöglichkeiten entwickeln.


DSCF0234.JPG